Staatsdefizit muss reduziert und wirtschaftliche Probleme gelöst werden.
Einer der Landwirtschaftsmärkte in Havanna, die zur Versorgung beitragen. Foto: Gobierno de La Habana
Das war ein Satz am Schluss einer der letzten Con Filo Sendungen, der ziemlich deutlich die Stimmung zum Ausdruck bringt – auch im neuen Jahr wird es hart werden und nur wenn man an das Projekt glaubt und zusammen daran arbeitet, ist es nicht so schwer.
Und es ist weiterhin schwierig. Die Inflation hat nicht abgenommen, die Löhne sind nicht gestiegen – Ausnahme ist der Bereich Gesundheit und Bildung – und man kämpft weiter, um die staatliche Grundversorgung zu gewährleisten. Der Reis kann weiterhin nur häppchenweise eingekauft werden, Kaffee gibt es nicht, Zucker und Salz bekommt man wieder. Große Meldung in den Hauptnachrichten war die Ankunft eines Schiffs mit Hähnchenfleisch. Das wurde dann noch bei Nacht und Nebel samstags und am Sonntag entladen, damit es möglichst schnell in die Läden verteilt werden konnte. Aber durch die ganzen Lieferprobleme funktioniert das System mit den Libretanummern für bestimmte Tage nicht mehr und es kommt wieder zu Schlangen. Da verlieren dann auch mal die Leute die Nerven, werden wütend und beschweren sich lautstark. Aber was auf den ersten Blick wie Potenzial für einen Aufruhr in der Schlange aussieht, beruhigt sich schnell wieder. Die einen lassen das Geschrei stoisch über sich ergehen, die anderen versuchen beruhigend auf die Entnervten einzuwirken. Wenn es ganz schlimm wird, kommt der Delegado, der gewählte Vertreter für den Wahlkreis und versucht das Problem zu regeln. Der ist auch zur Stelle, wenn sich auf den Märkten Leute über zu hohe Preise beschweren. Aber das war an besagtem Samstag nicht erforderlich, zeigt aber, dass die Nerven bei einigen blank liegen.
Jetzt wurde ja zu Beginn des Jahres eine große Zahl von Maßnahmen angekündigt, die das Staatsdefizit reduzieren und Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme bringen sollen. Mainstream und Konterrevolution waren sich einig, dass jetzt der Neoliberalismus in Kuba Einzug gehalten hat. All diejenigen, die jede neoliberale Regierung der Region mit Lobeshymnen begrüßen, können sich jetzt vor Abscheu ob der angeblich neoliberalen Maßnahmen Kubas kaum noch bremsen. Hoffnung macht dabei die Anweisung Washingtons an die Konterrevolution, man solle sich mit der Kampagne beeilen, bevor sich ein Erfolg einstellt. Es scheint also, dass man selbst in den USA den Regierungsmaßnahmen die Wirkung nicht abspricht.
Hier wird importierter Reis entladen, der eine der Grundlagen der kubanischen Lebensmittelversorgung ist.
Foto: Radio Rebelde
Die Bevölkerung ist natürlich erstmal beunruhigt und das nützt man auf der anderen Seite auch gebührend aus. Es sind aber so viele Maßnahmen, die zudem zum großen Teil allmählich umgesetzt und deren Auswirkungen genau beobachtet werden sollen, um gegebenenfalls sofort gegensteuern zu können, dass man sie nicht alle überblicken kann. Aber eines kann man bereits jetzt sagen: Es ist eine große Sache und dieses Mal wird es nicht so sein, dass man in Partei und Regierung Strategien entwickelt hat und nun die Bevölkerung erwartungsvoll dasitzt und guckt, was passiert.
Dieses Mal sind alle beteiligt. Im CDR, im Wahlkreis, im Wohnviertel, im Betrieb, von der kleinsten Einheit aufwärts. Wenn auch der Durchschnittsbürger vielleicht nicht beurteilen kann, was in der Provinz gemacht werden muss, in seinem Wohnviertel, seinem Betrieb weiß er das sehr genau. Jetzt kündigt sich eine große Bewegung an. Die Kaderpolitik wird einer eingehenden Prüfung unterzogen. Die Kader sind diejenigen, die den direkten Kontakt zur Bevölkerung haben. Sie müssen dafür sorgen, dass die Dinge in dem Bereich, für den sie die Verantwortung haben, funktionieren. Und da genügt es auch nicht mehr, dass sie sich redlich bemühen. Was zählt, sind die Ergebnisse und wenn die nicht zu erkennen sind, muss jemand kommen, der fähiger ist. Das hat auch Raúl Castro bei seiner Rede zum fünfundsechzigsten Jahrestag der Revolution deutlich gemacht. Es gab einfach zu viele, die angesichts der sich auftürmenden Schwierigkeiten zu schnell kapituliert haben und die Dinge laufen ließen. Das Faszinierende ist aber, dass andere unter den gleichen Bedingungen erfolgreiche Betriebe, produktive Landwirtschaft und Wohnviertel mit zufriedenen Bewohnern aufweisen können. Es ist also noch einiges möglich, um das Leben der Kubaner, selbst unter den Bedingungen einer Kriegswirtschaft, angenehmer zu gestalten. Jetzt ist es die Pflicht eines jeden Kaders, sich fortzubilden, aus den Erfahrungen erfolgreicher Initiativen zu lernen und die Beschlüsse von Partei und Regierung zu kennen und anzuwenden. Alle werden geschult, aber es sind Autodidakten gefragt. Einige haben schon einmal vorsorglich ihr Amt zu Verfügung gestellt, weil sie sahen, dass sie den Anforderungen nicht gewachsen waren oder einfach, weil der Posten zu anstrengend geworden ist. Bedingung für eine erfolgreiche Arbeit ist natürlich, dass man mit seinen Vorschlägen nicht gegen eine Wand rennt, weil ein Bürokrat gerne Feierabend macht oder ihm die Arbeit zu mühselig ist. Aber auch da hat sich viel geändert und für alle Anträge sind Bearbeitungfristen gesetzt worden. In den Volksräten, Stadträten und Provinzräten wird kontrolliert, ob diese eingehalten wurden. Dort werden die entsprechenden Vorschläge formuliert, dort finden Fortbildungen statt und es wird Feedback gegeben.Unterstützt wird deren Arbeit von den Parteimitgliedern, die aktiv an allen Projekten vor Ort mitwirken müssen. Parteimitglieder heißen ja hier auch nicht Parteimitglieder sondern Militante del Partido. Da steckt das Wort Militanz drin und das bedeutet, dass man immer zur Stelle zu sein hat, wenn es brennt und sich durch vorbildliches Verhalten auszeichnen muss. So sollte es jedenfalls sein ist.
Aber natürlich sind nicht nur Parteimitglieder involviert, wenn es um die neuen Maßnahmen geht. Es wurde bereits angekündigt, dass sie landesweit vorgestellt und debattiert werden sollen. Dabei ist jeder ganz dringend aufgefordert, seine Ideen vorzubringen, denn jeder hat in seinem jeweiligen Umfeld den größten Durchblick und vielen sind sicher noch kreative Verbesserungsvorschläge eingefallen. Darauf wartet man, denn diese geplanten Maßnahmen sind kein Evangelium und lassen viel Raum für Vorschläge. Sie sind aber insgesamt so vielschichtig und betreffen auch die Makroökonomie, dass Informationsbedarf herrscht und es Moderatoren braucht, die mit der Materie befasst sind. Im Rahmen der Umsetzung dieses ganzen Maßnahmenpakets hat es bereits Bewegungen auf allen Ebenen gegeben. Die auffälligste davon ist sicherlich, dass Wirtschaftsminister Gil Fernández abgelöst wurde und der Präsident der Nationalbank dessen Posten übernommen hat.
Was bei den bis jetzt bekannten Plänen am meisten Wirbel ausgelöst hat, war die Erhöhung der Strom- und Benzinpreise und das, was zu den Änderungen bei der Grundversorgung über die sogenannte Libreta im Umlauf ist.
Das mit der Benzinpreiserhöhung ab Februar hat sich etwas mysteriöserweise erst einmal erledigt. Es war von einem Virus im Betriebssystem die Rede. Fakt ist aber, dass diese Erhöhung erst einmal ausgesetzt wurde.
Die Strompreiserhöhung wird aber durchgeführt. Sie hört sich besorgniserregend an, ist aber halb so dramatisch, weil sie erst ab 500 kWh greift. Um die zu erreichen, muss man die Klimaanlagen schon etwas länger laufen lassen, was im Sommer sicherlich bei einigen zum Problem werden kann. Zurzeit erreichen wir die 500 kWh auf jeden Fall nicht. Der hohe Preis betrifft auch auch nur die Einheiten über die 5oo kw, also nicht die gesamten verbrauchten kw. Nach offiziellen Berechnungen sollen davon in den heißesten Monaten Juli und August 54% der Kunden betroffen sein, in den übrigen Monaten nur die Hälfte.
Das Land hatte in diesem Jahr am 24. Juli mit 64,5 Gigawatt/h einen historischen Stromrekord aufgestellt. Gründe dafür sind unter anderem: Es war sehr heiß in diesem Sommer, es gibt inzwischen eine halbe Million elektrischer Motorinas, wovon die meisten sich noch nicht mit erneuerbarer Energie aufladen. Außerdem wurden im Jahr 2022 etwa 3.430000 elektrische Haushaltsgeräte eingeführt.
Was die Libreta, das Grundversorgungsheft, angeht, so hört sich alles noch vage an. Man möchte die Personen und nicht mehr die Waren subventionieren. Das hört sich vernünftig an, nur wie findet man die bedürftigen Personen heraus. Rentner und Sozialhilfeempfänger natürlich und der haushaltsgestützte Sektor sind im Gespräch. Das sind alle, die vom Staat bezahlt werden und deren Löhne wahrlich kärglich sind. Noch aber hat sich dort noch nichts Konkretes getan. Es ist aber auch ein heikles Thema, bei dem man keinen Fehler machen möchte.
Das sind die Punkte, die die Bevölkerung direkt betreffen. Die anderen Maßnahmen, der große Wurf, der wird jetzt vorbereitet und von seinem Erfolg hängt viel ab.
Nämlich z. B. die Jugend davon abzuhalten, ihr Glück außerhalb Kubas zu suchen. Diese Welle, das Gefühl im Land selbst keine Zukunft zu haben, hat nach Meinung vieler Ende 2019 begonnen, als während der Regierung Trump die Entspannung der Obama Zeit ihr Ende fand und die Blockade immer weiter verschärft wurde, als es keine Hähnchen mehr gab, das Bier teurer wurde und sich Schlangen vor den Tankstellen bildeten. Viele haben damals geglaubt, das Ganze sei nur vorübergehend und ihre Ersparnisse aufgebraucht, um ihren Lebensstil nicht einschränken zu müssen. Dann kam COVID und alles wurde noch schlimmer und viele kamen an einen Punkt, an dem sie alle Hoffnung aufgaben. Inzwischen sind viele so ernüchtert, dass selbst, wenn sie eine gut bezahlte Arbeit fänden, sie sich keine Illusionen mehr machen würden, dass etwas Stabilität in ihr Leben einkehren würde. Sie haben einfach zu viele Krisen erlebt. Von der Sonderperiode, der größten Krise, bis heute, gab es viele kleinere Krisen. Man strengt sich an, man erreicht was und dann passiert etwas, auf das man keinen Einfluss hat und alles bricht wieder zusammen. Irgendwann hat man keine Kraft mehr immer wieder bei Null anzufangen und immer Angst zu haben, dass sich der Zyklus wiederholt und dann geht man.
Aber Kuba leidet nicht nur darunter, dass die Fachkräfte, deren Ausbildung der Staat trotz knapper Ressourcen finanziert, das Land verlassen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Leute, die so große Mühen investiert und Opfer gebracht haben, um z. B. Ärzte zu werden, schweren Herzens diesen Beruf wieder aufgeben, um eine minderwertige Beschäftigung in einem der Mipymes (KKMU) aufzunehmen, welche mehr als sieben Mal so viel Geld einbringt, als ihre Arbeit im Krankenhaus.
Andere behalten ihren Beruf bei und verkaufen am Wochenende beim sogenannten Garagenverkauf Second-Hand-Kleidung oder putzen in Häusern von Leuten mit mehr Geld.
Das Amt für Statistik, ONEI, registriert, dass es seit 2021, als die Aufgabe Neuordnung verabschiedet wurde, 12.065 weniger Ärzte, 3.246 weniger Zahnärzte und 1.375 weniger Universitätsprofessoren gibt.
Dabei muss man außerdem sehen, dass diejenigen, die weiter als Ärzte und Professoren etc. arbeiten, automatisch mehr arbeiten müssen, um die Lücken auszugleichen. Wenn wieder eine Lehrerin aufgrund des Parole-Programms plötzlich in die USA auswandert und die Kinder ihre feste Bezugsperson verlieren und nur noch von Vertretungslehrern unterrichtet werden, leiden nicht nur die Kinder und ihre Eltern sondern die ganze Gesellschaft darunter.
Sie leidet darunter, dass so viele angehende junge Ärzte ihren Traum aufgeben mussten. Manche sagen schon zum Scherz, dass, wenn das so weitergehe, man gar nicht mehr ins Krankenhaus müsse. Man könnte einfach in einen Laden gehen, weil die Verkäufer dort alle Ärzte sind.
Aber noch funktionieren die Krankenhäuser und die Schulen, auch deshalb, weil viele alles geben. Sowohl Lehrer als auch Ärzte sind unglücklich über die Situation und würden lieber heute als morgen wieder in ihrem Beruf arbeiten. Das sieht man auch daran, dass sobald eine Gehaltserhöhung kommt, sich sofort wieder die Leute in Schulen und Krankenhäusern einfinden, weil sie hoffen, dass sie mit dem Gehalt jetzt zurechtkommen. Beide funktionieren aber auch, durch die große Anzahl von Lehrern und Ärzten im Ruhestand, die zurückkommen und neben ihrem Gehalt weiter ihre Pension erhalten.
Arbeiter aus Holguín beteiligen sich ehrenamtlich an der Lebensmittelproduktion
Foto: John Alex Fernández Leyva
Das Land ist aber auch deshalb noch lebendig und die Stimmung ist keineswegs depressiv, weil die große Mehrheit der Menschen ihr sozialistisches Projekt unterstützt. Auch wenn einige Werte in den schlimmen Jahren etwas verloren gingen, so ist es doch noch für die meisten selbstverständlich, dem Nachbarn auszuhelfen, wenn man kann. Der Informationsfluss, wenn irgendwo Waren hereingekommen sind, funktioniert ausgezeichnet. "Hay pollo" ("Es gibt Huhn") hallt es durch die Straßen und jeder läuft mit seiner Libreta los und sorgt dafür, dass jeden im Viertel die Nachricht erreicht. Bei der großen Familie, die unter uns im Erdgeschoss wohnt und die bestimmt nicht wohlhabend ist, kommt jeden Tag eine alte Frau mit einem Teller vorbei, der ihr dort aufgefüllt wird. An der Ecke gibt es ein staatliches Restaurant, das auf Bestellung den berühmten cake, den Geburtstagskuchen zu wirklich günstigen Preisen verkauft, so dass keiner auf seine Geburtstagsfeier verzichten muss. Jeden Samstag gibt es Jardin de Mella ein Kinderprogramm, sehr laut, so dass die ganze Straße etwas davon hat.
Junge Leute beteiligen sich mit Begeisterung an den Projekten in den Wohnvierteln oder am jährlichen Fackelmarsch zu Ehren von José Martí. Nicht alle, aber die meisten, fühlen sich der Geschichte ihres Landes verbunden und sie machen sich Sorgen, weil es z. B. Zu viele neue Privatautos auf den Straßen gibt. Sie sehen das Ideal einer einer gerechten Gesellschaft in Gefahr, weil unter normalen Umständen sich niemand ein solches Auto leisten kann.
Auf jeden Fall muss dieses gewaltige Maßnahmenpaket unbedingt gelingen und es muss so gestaltet sein, dass ihm die Versuche der USA, die Revolution zu zerstören, möglichst wenig anhaben können. Egal ob Trump oder Biden die Wahl gewinnt, wir müssen uns auf uns selbst verlassen und auf unsere Freunde im Süden, mit denen bei den diversen Besuchen von Präsidenten und Premierministern vieles ausgehandelt wurde.
Und bis dahin müssen wir durchhalten, um das Projekt zu retten, aber wenn wir es gemeinsam machen, spüren wir den Schmerz weniger.
Renate Fausten
CUBA LIBRE 2-2024